8. Dezember Für ein paar Minuten, eine Stunde höchstens, hat das Schneetreiben meine kleine Welt verwandelt und verzaubert. Meine Strasse ist auf einmal nicht mehr sich selbst, sie ist ausser sich. Alles, was auf ihr geschieht, sich bewegt, spaziert oder fährt, hinterlässt Spuren. Sie ist wie eine gigantische fotografische Platte mit einem launischen Gedächtnis. Es ist ein Vergnügen, dem Verschwinden der Spuren zuzusehen.
2. Januar Gestern Nacht konnte ich lange nicht einschlafen, Welche Bilder sind wichtig? Welche bleiben?
12. April Gestern war ich in Montreux um die Sachen meines Vaters abzuholen. Banales aber tiefes Erschrecken: Wie schnell Dinge wertlos werden, wenn es die Person nicht mehr gibt. Und die zweite, ebenso banale Erkenntnis: Wie schnell das Leben vorbei ist – die Banalität verstärkt meinen Schrecken. Alle Fotos, die ich im Computer gespeichert habe, werden auf einmal – wie bei meinem Vater – jeden Wert verloren haben, weil die lebendige Erinnerung verschwunden sein wird.
25. August Ich erstelle eine Kartographie meines Alltags, aus Angst, mich sonst in der Fülle der Eindrücke zu verlieren. Ich schneide aus, lasse weg, hebe hervor, lasse verschwinden. So entsteht eine Art Landkarte meiner Wahrnehmung.
3. März Erinnerungen. Niemand merkt sich seine persönliche Vergangenheit als chronologische Abfolge von Ereignissen oder Bildern. Allzu sprunghaft ist das Gedächtnis, das lieber alles durcheinander bringt um die Ordnung wieder herzustellen.
21. August Alltag. Alle Tage. Tagebuch. Ich schaffe mir meine eigenen Erinnerungen durch die Bilder. Ich schaffe mir ein neues Leben - irgendwie.
24. Juni Dieser Tag scheint sich zu wiederholen. Wie alles sich wiederholt.
7. September Ich erinnere mich an einen Tag in der Bretagne. Ja, so könnte er gewesen sein, jener Tag. In meinen Aufzeichnungen haben die Tage Gesichter, wie die Menschen. Es gibt gut aussehende und andere... Ich erinnere mich an das kalte Wohnzimmer, den Himmel... Die Zeit löst sich auf, alles ist nur noch Erinnerung. Fotografie ist Unsinn, ganz präziser Unsinn. Der Hirsch auf dem Bild war real! Immerhin.
27. Februar Der Anfang eines Spazierganges. Worüber haben wir wohl gesprochen? Ich weiss es nicht mehr, aber wenn ich die Bilder vor mir sehe, fühle ich die Kälte in den Beinen, den hart gefrorenen Boden, die übermütige Vertrautheit mit P. Vieles in der Erinnerung entzieht sich den Worten. Wie bei Erinnerungsfetzen aus der Kindheit, wo sich im Bild eines einzigen kurzen Momentes ein ganzer Lebensabschnitt verdichtet haben kann...
6.November Die Nacht. Ein Kapitel für sich - für mich. In der Nacht werden die Erinnerungen wach. Ich erinnere mich an die Nächte in der Wüste, ohne Mond, in welchen ich glaubte, durch das All zu schweben.
26. September Die Tropfen, zuerst unbeweglich am Fensterglas hängend, werden von der Beschleunigung und dem Fahrtwind waagrecht nach hinten gedrückt. Bald ist das Fenster ganz ohne Tropfen, trocken. Dann ein kurzer Moment, wo plötzlich alles leiser wird. Ein Gefühl von Leichtigkeit, das Flugzeug ist in der Luft... was unter mir liegt, wird Erinnerung. Ich bin unterwegs.
27. Juli Das Flüchtige der Begegnungen auf Reisen hat etwas Befreiendes und etwas Beängstigendes. Am liebsten würde ich alle Menschen fotografieren. Die Frauen, die Männer, mit denen trotz der kurzen Zeit Fastfreundschaften entstehen... Doch ehe ich mich versehe, sind die Menschen, trotz der momentanen Nähe, wieder weg. Ja, sogar aus meinem Gedächtnis verschwunden. Nicht einmal mehr Erinnerung.
26. Mai Es ist absurd, was ich mache: Alles, was mir vor die Augen kommt zu fotografieren, und dann noch darüber zu schreiben... Es ist absurd, weil auch so kein richtiges Bild entsteht. Das Leben ist zu schnell, die Zeit jagt... Und doch: ich komprimiere auf diese Weise mein Leben. Der berühmte Film, von dem man sagt, er laufe vor dem inneren Auge ab im Moment des Sterbens - vielleicht sieht er so aus? Ein Fotoalbum wie ein Daumenkino. Ein paar Sekunden - ein Leben.
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