heute-gestern-übermorgen
Galerie am Platz - Eglisau - Oktober/November 2023
Ein work-in-progress des Langzeitprojektes "Ëndërr!" in Albanien
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Zwischen den Zeiten
Es wäre das richtige Wetter um Ansichtskarten zu schreiben, aber es regnet zu stark um welche kaufen zu gehen, und so sitze ich hier mit einer Tasse Grün-tee vor meinen Notizen. Diese Stadt, so scheint mir, und mit ihr vielleicht das ganze Land, befindet sich in einer anderen Zeit als der Rest Europas. Oder an-ders gesagt, das Land liegt zwischen den Zeiten, oder in gar keiner. Es ist, als ob Albanien schweben würde zwischen seiner nicht allzu fernen Vergangenheit, die aber unendlich weit weg zu sein scheint, und einer Zukunft, die nie anbre-chen wird, und von der man den Eindruck hat, sie werde sich bevor sie begon-nen hat wie ein Traum in nichts auflösen, um sich in die vielen Vergangenhei-ten einzureihen, die scheinbar nie stattgefunden haben. Vielleicht verhält es sich aber auch ganz anders, kann sein, hier sind alle Zeiten gleichzeitig vorhan-den und miteinander im Streit um die Vorherrschaft. Dabei scheint die Gegen-wart die Verliererin zu sein, den Sieg machen sich Vergangenheit und Zukunft untereinander aus, der Ausgang allerdings ist ungewiss und ein Patt am wahr-scheinlichsten. Die Zeiten sind Opfer der Geschwindigkeit geworden, sie fres-sen sich gegenseitig auf.
Die Zukunft versucht die Vergangenheit mit aller Betongewalt niederzuwalzen und doch gelingt es ihr nie, sie wirklich zu zerstören. Immer wieder meldet die-se sich zurück und entzieht der Zukunft auf heimtückische Weise das Funda-ment. Wir sehen nur die Überreste des Kampfes, Betongerüste, die überall wie Pilze im Regen aus dem Boden schiessen und vergammelte Ruinen, die nie-mand wegräumen will. Geplatzte Träume, Zwischenzeit. Und die Gegenwart rennt allem hinterher, der Zukunft und der Vergangenheit, denn alles geht viel zu schnell.
Auch meine Fotografie kommt immer ein bisschen zu spät – wie alles Fotogra-fische vielleicht. Wenn ich die Zukunft in der Gegenwart abbilden will, ist sie schon Vergangenheit. Immerhin, manchmal glaube ich einen Schatten der Ver-gangenheit oder der Zukunft eingefangen zu haben.
Der Regen hat inzwischen aufgehört.
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